Bearbeiter: RA Prof. Dieter Schmalz

► Gebrauch von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, § 86a StGB. ► Verwendung von NS-Symbolen in offenkundig und eindeutig ablehnender Tendenz. ► Behandlung eines Strafgesetzes in Fällen, auf die der Schutzzweck nicht zutrifft, § 1 StGB; Tatbestandsrestriktion

BGH Urteil vom 15. 3. 2007 (3 StR 486/06) NJW 2007, 1602

Fall (Verfremdete Hakenkreuze)

A ist Inhaber eines Unternehmens, in dem er CDs, Kleidungsstücke, Aufkleber, Bücher und ähnliche Gegenstände vor allem für die Punkerszene vertreibt. Nachdem gegen ihn eine Anzeige erstattet wurde, durchsuchte die Polizei das Geschäft und fand zahlreiche Artikel mit Darstellungen, auf denen nationalsozialistische Symbole, insbesondere das Hakenkreuz, in veränderter, aber noch erkennbarer Form abgebildet waren, wobei aber durch die Art der Darstellung die Gegnerschaft deutlich zum Ausdruck gebracht wurde. Einer dieser Artikel ist ein Aufkleber, der auf dem „Umweltmännchen“ basiert, das normalerweise eine stilisierte Figur zeigt, die ein Stück Abfall mit ausgestrecktem Arm in einen Abfallbehälter wirft, um etwa in einer öffentlichen Parkanlage zur ordnungsgemäßen Entsorgung von Müll anzuhalten. Auf dem von A vertriebenen Aufkleber wurde das Stück Abfall durch ein Hakenkreuz ersetzt, das weggeworfen wird. Nachdem die Staatsanwaltschaft gegen A Anklage erhoben hatte, verurteilte das Landgericht Stuttgart A nach § 86a StGB zu einer Geldstrafe. Auf die Revision des A hin hatte der BGH zu entscheiden, ob A sich strafbar gemacht hat.

A könnte sich wegen Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen (§ 86a I StGB) strafbar gemacht haben.

Dieser Tatbestand bezieht sich durch die Verweisung in § 86a I Nr. 1 auf § 86 I Nr. 1, 2 und 4 auf Kennzeichen einer verfassungswidrigen Organisation, insbesondere einer ehemaligen nationalsozialistischen Organisation (§§ 86a I Nr. 1, 86 I Nr. 4), und stellt unter Strafe, solche Kennzeichen zu verbreiten (§ 86a I Nr. 1) oder Gegenstände, die derartige Kennzeichen enthalten, vorrätig zu halten (§ 86a I Nr. 2). Beide Tatbestandsvarianten kommen bei A in Betracht.

I. Kennzeichen ehemaliger nationalsozialistischer Organisationen, vornehmlich der NSDAP, ist vor allem das Hakenkreuz. A hat Gegenstände, auf denen sich ein Hakenkreuz befand, vorrätig gehalten und vertrieben, als Beispiel der Aufkleber mit dem ein Hakenkreuz wegwerfenden „Umweltmännchen“. Bei wörtlicher Auslegung des § 86a I Nr. 1 und 2 i. V. mit § 86 I Nr. 4 hat A den Tatbestand verwirklicht.

II. Etwas anderes könnte sich aber daraus ergeben, dass diese Verwendung in offensichtlicher Gegnerschaft zum Nationalsozialismus erfolgt. So wird bei dem verfremdeten „Umweltmännchen“ das Hakenkreuz als wegzuwerfender Gegenstand dargestellt. Das Gesetz enthält allerdings kein subjektives Erfordernis, wonach die Handlung in Unterstützungsabsicht oder auch nur mit Sympathie gegenüber dem Nationalsozialismus zu geschehen hat. Gleichwohl erscheint es problematisch, dass ein Verhalten wie im vorliegenden Fall nach § 86a bestraft werden muss. Es sind deshalb weitere Überlegungen anzustellen.

1. Nicht strafbar ist ein Verhalten, das unter die Sozialadäquanzklausel des § 86a III i. V. mit § 86 III fällt. Voraussetzungen sind, dass die Handlung der staatsbürgerlichen Aufklärung, der Abwehr verfassungswidriger Bestrebungen, der Kunst oder der Wissenschaft, der Forschung oder der Lehre, der Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens oder der Geschichte oder ähnlichen Zwecken dient.

Einem der in § 86 III einzeln aufgeführten Zwecke dient der Vertrieb der fraglichen Artikel des A nicht. Es lässt sich aber auch kein „ähnlicher Zweck“ feststellen, dem das Verhalten des A dient: A vertreibt die Artikel im Rahmen seines Gewerbes und damit zu dem Zweck, Geld zu verdienen, was kein ähnlicher Zweck ist. Mittelbar werden allerdings die Käufer dadurch in die Lage versetzt, ihre Ablehnung des Nationalsozialismus kundzutun. Dies ist ein politischer Zweck, wobei § 86 III aber zu weit ausgedehnt würde, wenn bereits eine Verwendung von NS-Symbolen zu politischen Zwecken zur Anwendung dieser Klausel führen würde. Allgemeine politische Zwecke sind den relativ speziellen Zwecken des § 86 III nicht ausreichend ähnlich. Außerdem wäre auch eine Verwendung zu Gunsten der Nazi-Ideologie ein politischer Zweck, der von § 86a I aber gerade unter Strafe gestellt werden soll. Über § 86a III lässt sich eine Strafbarkeit des A somit nicht verneinen.

2. In Betracht kommt eine Einschränkung der Strafbarkeit nach allgemeinen methodischen Grundsätzen.

a) Ihre Anwendung ist auch im Strafrecht zulässig. Ausgeschlossen ist lediglich der umgehrte Fall, die Ausdehnung der Strafbarkeit durch analoge Anwendung (§ 1 StGB, Art. 103 II GG). Die Anwendung methodischer Rechtsfiguren zu Gunsten eines Angeklagten ist möglich und, wenn die Voraussetzungen dafür vorliegen, auch geboten.

b) Die allgemeine Methodenlehre stellt für derartige Fälle zwei Rechtsinstitute zur Verfügung, die beide hier in Betracht kommen:

(1) Man kann sich auf den Standpunkt stellen, dass die in § 86a I Nr. 1 und 2 i. V. mit § 86 I Nr. 4 enthaltenen Begriffe in Grenzbereiche führen, in denen ihr Inhalt nicht von vornherein klar ist. Zu denken wäre etwa an einen scherzhaften Gebrauch eines Hakenkreuzes; hier könnte man vertreten, dass das kein Vorrätig-Halten, Verbreiten oder eine sonstige Verwendung i. S. des Straftatbestandes ist. Dann würde § 86a I eine Auslegung des Gesetzes ermöglichen, bei der vor allem auf den Sinn und Zweck des Gesetzes, speziell auf den Schutzzweck der Strafnorm, abzustellen wäre.

(2) Es spricht allerdings mehr dafür, im vorliegenden Fall den Wortlaut des § 86a I i. V. mit § 86 I Nr. 4 als eindeutig anzusehen: A hat Gegenstände mit einem Hakenkreuz, also mit dem Kennzeichen einer ehemaligen nationalsozialistischen Organisation, verbreitet und vorrätig gehalten, was nach dem Wortlaut des Gesetzes strafbar ist. Eine Strafbarkeit in diesem Falle könnte aber von Sinn und Zweck des Strafgesetzes nicht gedeckt sein. Die allgemeine Methodenlehre stellt in diesem Fall die Figur der teleologischen Reduktion zur Verfügung. Der Sache nach ist das auch Auffassung des BGH (vgl. Rdnr. 6), der diesen Fall aber als Restriktion des Tatbestandes bezeichnet. (Es handelt sich, wie nicht selten im Strafrecht, um einen Fall, in dem Vertreter des Rechtsgebiets Strafrecht ohne Grund von der allgemeinen Methodenlehre abweichen und einen Sonderweg gehen.) Da hier die BGH-Entscheidung aufbereitet werden soll, wird insoweit der Terminologie des BGH gefolgt und die teleologische Reduktion als „Tatbestandsrestriktion“ bezeichnet.

3. Für die Bejahung einer Tatbestandsrestriktion ist erforderlich, dass der Fall vom Schutzzweck des Tatbestandes nicht erfasst wird und keine anderen sachlichen Argumente (wie z. B. solche der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit) gegen die Tatbestandsrestriktion sprechen.

a) Zum Schutzzweck des § 86a StGB BGH Rdnr. 5:

Der Schutzzweck dieses Straftatbestands ist die Abwehr einer Wiederbelebung der verbotenen Organisation oder der von ihr verfolgten verfassungsfeindlichen Bestrebungen, auf die das Kennzeichen symbolhaft hinweist.

 Die Vorschrift dient aber auch der Wahrung des politischen Friedens dadurch, dass jeglicher Anschein einer solchen Wiederbelebung sowie der Eindruck bei in- und ausländischen Beobachtern des politischen Geschehens in der Bundesrepublik Deutschland vermieden werden soll, in ihr gebe es eine rechtsstaatswidrige innenpolitische Entwicklung, die dadurch gekennzeichnet ist, dass verfassungsfeindliche Bestrebungen der durch das Kennzeichen angezeigten Richtung geduldet würden…

§ 86a StGB will darüber hinaus verhindern, dass die Verwendung von Kennzeichen verbotener verfassungsfeindlicher Organisationen - ungeachtet der damit verbundenen Absichten - sich wieder derart einbürgert, dass das Ziel, solche Kennzeichen aus dem Bild des politischen Lebens in der Bundesrepublik grundsätzlich zu verbannen, nicht erreicht wird, mit der Folge, dass sie schließlich auch wieder von den Verfechtern der politischen Ziele, für die das Kennzeichen steht, gefahrlos gebraucht werden können (BGHSt 25, 30 [33 f.]; 25, 128 [130 f.]).

b) BGH Rdnr. 7 weist zu Gunsten der Ansicht, dass im vorliegenden Fall der weit gefasste Wortlaut des § 86a nicht in vollem Umfang durch den Schutzzweck gedeckt ist, zunächst auf die Entstehungsgeschichte hin: Bereits im Gesetzgebungsverfahren hatte man erkannt, dass der Tatbestand zu weit gefasst ist… Jedoch hatte man damals keine Möglichkeit zur Verfeinerung der tatbestandlichen Umschreibung gesehen und die Auslegung des Tatbestands im einzelnen der Rechtsprechung überlassen (folgen Nachw.). - Anschließend unter Rdnr. 8 - 10 verweist der BGH auf seine bisherige Rspr. und auf Stellungnahmen im Schrifttum zu der hier zu behandelnden Fallgruppe.

c) BGH Rdnr. 12 prüft dann die hier zu beurteilende Fallgruppe anhand des oben a) beschriebenen Schutzzwecks und kommt zu dem Ergebnis: Der Gebrauch des Kennzeichens einer verfassungswidrigen Organisation in einer Darstellung, deren Inhalt in offenkundiger und eindeutiger Weise die Gegnerschaft zu der Organisation und die Bekämpfung ihrer Ideologie zum Ausdruck bringt, läuft dem Schutzzweck der Vorschrift ersichtlich nicht zuwider und wird daher vom Tatbestand des § 86a StGB nicht erfasst. Da sich in einem derartigen Fall die Zielrichtung bereits aus dem Aussagegehalt der Darstellung selbst ergibt, erstreckt sich der Tatbestandsausschluss grundsätzlich auf jeglichen Gebrauch des Kennzeichens, sei es Herstellung, Vorrätighalten, Verbreiten oder sonstiges Verwenden. Auf die Umstände des Gebrauchs kommt es dabei zur Begründung des Tatbestandsausschlusses nicht an.

 Es ist deshalb auch unerheblich, dass A vorrangig kommerzielle Zwecke verfolgt (BGH Rdnr. 14) und dass die Artikel nicht nur im Einzelfall, sondern in größerer Stückzahl („massenhaft“) vertrieben werden (Rdnr. 19 ff.).

 Der Senat weist freilich darauf hin, dass ein Tatbestandsausschluss nur gerechtfertigt erscheint, wenn die Gegnerschaft sich eindeutig und offenkundig ergibt und ein Beobachter sie somit auf Anhieb zu erkennen vermag. Ist dagegen der Aussagegehalt einer Darstellung mehrdeutig oder die Gegnerschaft nur undeutlich erkennbar, so ist der Schutzzweck des § 86a StGB verletzt. Das mag etwa der Fall sein, wenn das Durchstreichen des Hakenkreuzes so dünn erfolgt, dass aus einer gewissen Entfernung nur noch das Hakenkreuz, nicht mehr aber die Distanzierung erkennbar ist.

d) Für dieses Ergebnis spricht auch eine verfassungskonforme Behandlung des § 86a. Unter Rdnr. 13 weist der BGH zutreffend darauf hin, dass § 86a einen Eingriff in den Schutzbereich des Grundrechts der Meinungsfreiheit (Art. 5 I 1 GG) enthält. Dieses steht zwar unter dem Vorbehalt der allgemeinen Gesetze (Art. 5 II GG); der BGH hält auch § 86a StGB für ein solches allgemeines Gesetz. Beschränkungen des Grundrechts müssen aber verhältnismäßig sein. Wird eine Beschränkung, wie hier, im Falle einer wortlautgetreuen Anwendung vom Zweck des Gesetzes nicht mehr gedeckt, so ist sie bereits ungeeignet, den Zweck des Gesetzes zu fördern. Außerdem ist sie, da sie das Grundrecht beschränkt, ohne einen Nutzen für das Gemeinwohl zu erzielen, unangemessen und verstößt gegen die Verhältnismäßigkeit i. e. S.

e) Unter Rdnrn. 15 ff. prüft der BGH, ob andererseits sachliche Gründe gegen die Tatbestandsrestriktion sprechen. Das LG hatte geltend gemacht, eine Tatbestandsrestriktion könne von Anhängern der verbotenen Organisationen zum gefahrlosen Gebrauch der Kennzeichen missbraucht werden. Diese Gefahr sieht der BGB aber nicht: Solche Personen würden Darstellungen, in denen die Kennzeichen in eindeutig und offenkundig ablehnender Weise gebraucht werden, als Verhöhnung des ihnen „heiligen“ Kennzeichens empfinden und selbst nicht verwenden (vgl. BGHSt 25, 133 [137]). Der Senat hält es daher nicht für vorstellbar, wie es das LG befürchtet, dass eine Gruppe rechtsgerichteter Personen in Springerstiefeln, Braunhemden und mit einer Oberarmbinde, die ein - deutlich - durchgestrichenes Hakenkreuz enthält, in Erscheinung treten könnte.

Somit bleibt es bei der Tatbestandsrestriktion. Soweit die von A angebotenen Artikel eindeutig und offenkundig die Gegnerschaft zur NS-Ideologie zum Ausdruck bringen, hat A sich nicht nach § 86a StGB strafbar gemacht.

4. Die Polizei hatte allerdings auch einen Artikel („Nr. II 79“ der Anklageunterlagen) gefunden, bei dem ein Bild Adolf Hitlers mit unverändertem Hakenkreuz zu sehen war und der Text („Drecksau“) nur eine unzureichende Distanzierung enthielt. Insoweit ließ sich nicht über die Tatbestandsrestriktion lösen, so dass A den objektiven Tatbestand des § 86a erfüllt hat (BGH Rdnr. 29).

Für eine Bestrafung des A müsste aber auch der für den subjektiven Tatbestand erforderliche Vorsatz vorliegen. BGH Rdnr. 30: Im verbleibenden Fall II 79 kann ausgeschlossen werden, dass die subjektive Seite eines Verstoßes nachgewiesen werden kann. Dies würde den Nachweis eines Vorsatzes voraussetzen, der die Kenntnis davon umfasst, dass bei diesem Artikel die beabsichtigte Distanzierung nicht ausreichend gelungen ist. Der Angekl., der nach den Feststellungen die Bestrebungen, die durch die verwendeten Kennzeichen symbolisiert werden, glaubwürdig ablehnt, hat sich in der Revisionshauptverhandlung über seinen Verteidiger dahin eingelassen, er habe die unzureichende Kenntlichmachung der Gegnerschaft übersehen, als er diesen Artikel in sein umfangreiches Sortiment übernommen hatte. Feststellungen, die dies widerlegen könnten, sind dem Urteil des LG…nicht zu entnehmen. Der Senat kann angesichts der besonderen Umstände des Falles auch ausschließen, dass diese in einer neuen Hauptverhandlung noch getroffen werden können.

Der BGH hat deshalb der Revision stattgegeben und A in vollem Umfang freigesprochen.

Zusammenfassung