Bearbeiter: Prof. Dr. Rainer Strauß

Der folgende Fall befasst sich mit den Voraussetzungen für eine wirksame Einwilligung in eine gefährliche Körperverletzung.

BGH Urteil vom 12. 10. 1999 (1StR 417/99) NStZ 2000, 87

Fall (Ungleiche Waffen)

A und B saßen stark alkoholisiert in einem Obdachlosenheim beisammen und unterhielten sich über ihre körperlichen Kräfte. Der in einem Sessel sitzende B hielt im Verlauf des Gesprächs A eine vorn abgerundete Verbandsschere vor und rief: „Wetten, dass du mich nicht überwältigen kannst? Ich bin dir überlegen! Komm her, wetten wir!“ A zog daraufhin ein Klappmesser sowie eine Flasche Reizspray aus der Hosentasche und sprühte B, der nach wie vor im Sessel saß, aus etwa einem Meter Entfernung einen langen Stoß Reizgas ins Gesicht. B ließ die Schere fallen, schlug beide Hände vor das Gesicht und rutschte aus dem Sessel auf den Boden, wo er seitlich zum Liegen kam. A betrachtete den am Boden liegenden B. Nun fiel ihm ein, dass er sich einen angemessenen Wetteinsatz nehmen könne, und zog den Geldbeutel aus der Hosentasche des B und entnahm diesem 30 DM. Den Geldbeutel ließ er zurück. Strafbarkeit des A ?

I. A könnte sich wegen einer gefährlichen Körperverletzung gemäß §§ 223 I, 224 I Nr. 2 StGB strafbar gemacht haben.

1. Indem A dem B das Reizgas ins Gesicht sprühte, hat er diesen mit einem gefährlichen Werkzeug sowohl körperlich misshandelt als auch in seiner Gesundheit beschädigt, so dass er den objektiven Tatbestand der gefährlichen Körperverletzung gemäß §§ 223 I, 224 Nr. 2 StGB erfüllt hat.

2. Dabei handelte er in Kenntnis der Tatumstände und deshalb vorsätzlich.

3. Die Tat des A könnte durch eine Einwilligung des B gemäß § 228 StGB gerechtfertigt gewesen sein. Das setzt voraus, dass das Opfer einwilligungsfähig ist, die Einwilligung vor der Tat nach außen kundgegeben wird, die Einwilligung ernsthaft und frei vonWillensmängeln ist und die Tat nicht gegen die guten Sitten verstößt.

a) Der BGH hat bereits Bedenken bezüglich der Einwilligungsfähigkeit des B: Schon die Einwilligungsfähigkeit des alkoholisierten S ( = B) ist nicht dargetan. Das LG hat diese Frage nicht erörtert. Eine wirksame Einwilligung setzt voraus, dass sie mit vollem Verständnis der Sachlage erteilt worden ist und der Einwilligende eine zutreffende Vorstellung vom voraussichtlichen Verlauf und den möglichen Folgen des zu erwartenden Angriffs hatte; er muss bei einer Herausforderung die nötige Urteilskraft und Gemütsruhe besitzen, um die Tragweite seiner Erklärung zu erkennen und das Für und Wider verständig gegeneinander abzuwägen... Zur Prüfung dieser Frage hätte hier um so mehr Anlass bestanden, als es sich um eine Milieutat handelte und die Beteiligten angetrunken waren.

b) Eine rechtfertigende Einwilligung scheidet ferner aus, wenn die Einwilligung sittenwidrig war. Dabei ist entscheidend, ob sich die Tat des Angekl. als Verstoß gegen die guten Sitten darstellt... Die Tat ist hier dadurch gekennzeichnet, dass B, der in einem Sessel saß, sich ersichtlich zum Zeitpunkt des Einsatzes des Reizgases keines Angriffs mit diesem Mittel versah und augenblicklich überrascht war; er war erkennbar nicht abwehr- und kampfbereit. Das ergibt sich auch daraus, dass B auf eine Wette aus war und betont hatte, er sei „Kickboxer“. Dass die Beteiligten irgendwelche Regularien vorgesehen oder sonst Vorkehrungen für die Austragung einer Wette mit ungleichen „Kampfmitteln“ getroffen hätten, ist nicht festgestellt ... Hinzu kommt, dass auch durch Reizgaseinsatz erfahrungsgemäß durchaus empfindliche Verletzungen bewirkt werden können, die nicht nur Bagatellcharakter haben. Unter diesen Umständen ist die Erwägung des LG, die „Abrede“ der Beteiligten sei zwar „bizarr, aber nicht sittenwidrig“, rechtlich nicht tragfähig.

Die Tat des A ist somit nicht gemäß § 228 StGB gerechtfertigt. A hat sich daher wegen einer gefährlichen Körperverletzung gemäß §§ 223 I, 224 I Nr. 2 StGB strafbar gemacht.

II. A könnte sich wegen Raubes gemäß § 249 I StGB strafbar gemacht haben.

1. Indem A den B mit dem Reizgas in das Gesichts sprühte, hat er eine gefährliche Körperverletzung gemäß §§ 223 I, 224 I Nr. 2 StGB begangen und damit Personengewalt i. S. des § 249 I StGB verübt.

2. Weiterhin müsste eine Wegnahme gegeben sein. Eine Wegnahme ist der Bruch fremden und die Begründung neuen Gewahrsams. Indem A dem B den Geldbeutel aus der Tasche zog und 30 DM heraus nahm und diese behielt, hat er den Gewahrsam des B an den 30 DM gebrochen und eigenen Gewahrsam daran begründet, so dass eine Wegnahme des Geldes gegeben ist.

3. Die Wegnahme des Geldes erfolgte unmittelbar, nachdem A dem B das Reizgas in das Gesicht gesprüht hatte. Es bestand daher ein enger räumlich-zeitlicher Zusammenhang zwischen der Wegnahme und der Gewaltanwendung.

4. A hatte Vorsatz zur Verwirklichung der objektiven Tatbestandsmerkmale. Weiterhin müsste ein Finalzusammenhang zwischen der Gewaltanwendung und der Wegnahme gegeben sein. Dafür ist erforderlich, dass die Gewaltanwendung nach der subjektiven Zwecksetzung des Täters als wesentlicher Bestandteil der Tat dazu dienen sollte, die Wegnahme zu ermöglichen (Herdegen in LK § 249 Rnr. 14). A entschloss sich aber erst, nachdem er B das Reizgas in das Gesicht gesprüht hatte, sich seinen „Wetteinsatz“ zu nehmen. Die Gewaltanwendung diente daher nach der Vorstellung des A nicht dazu, die Wegnahme des Geldes zu ermöglichen. Ein Finalzusammenhang zwischen Gewaltanwendung und Wegnahme ist nicht gegeben. A hat sich somit nicht wegen Raubes strafbar gemacht.

III. A hat sich aber durch die Wegnahme des Geldes des am Boden liegenden B wegen eines Diebstahls in einem besonders schweren Fall gemäß §§ 242 I, 243 I Nr. 6 (hilflose Lage) strafbar gemacht.

IV. Insgesamt hat A sich gemäß §§ 223 I, 224 I Nr. 2; 242, 243 I Nr. 6; 53 I StGB strafbar gemacht.