Bearbeiter: Prof. Dr. Rainer Strauß

Fahrlässige Tötung durch Unterlassen, §§ 222, 13 StGB

BGH Urteil vom 1. 2. 2005 (1StR 422/04) NStZ 2005, 446 = JuS 205, 848

Fall (Sorglos rauchende Mutter)

A hatte in ihrer Wohnung Gäste zu einer kleineren Party empfangen. Gemeinsam rauchten sie über längere Zeit Zigaretten und tranken Alkohol. Die beiden Kinder der A, zwei und fünf Jahre alt, schliefen in einem Nebenzimmer. Gegen 20.30 Uhr verließ A mit einem ihrer Gäste die Wohnung und suchte eine Gaststätte auf. Nach kurzer Zeit verließen zwei weitere Gäste die Wohnung. Gegen 22.00 Uhr verließ die letzte Besucherin der A die Wohnung, nachdem sie sich vergewissert hatte, dass beide Kinder fest schliefen. Gegen 23.30 Uhr kehrte A in die Wohnung zurück, verließ diese jedoch kurz darauf wieder. A unterließ, das Wohnzimmer auf feuergefährliche Gegenstände, insbesondere heruntergefallene Zigaretten zu untersuchen. Auf den Sitzmöbeln des Wohnzimmers, insbesondere auf der Wohnzimmercouch befanden sich unter anderem ein Feuerzeug, Papiere, eine Zeitschrift und getragene Kleidungsstücke. Vor der Couch stand ein mit Zigarettenstummeln gefüllter Aschenbecher. Während der Abwesenheit der A entwickelte sich auf der Wohnzimmercouch ein Schwelbrand, welcher dazu führte, dass die gesamte Wohnung stark verrußte. Als A gegen 4.30 Uhr wieder in die Wohnung zurückkam, waren die Kinder aufgrund des Schwelbrandes bewusstlos geworden und verstarben kurze Zeit darauf an einer Rauchvergiftung. Es stellte sich heraus, dass der Schwelbrand durch heruntergefallene Zigarettenglut entstanden war. Strafbarkeit der A ?

A könnte sich wegen fahrlässiger Tötung durch Unterlassen gemäß §§ 222, 13 I StGB strafbar gemacht haben.

1. Der tatbestandliche Erfolg, der Tod der beiden Kinder, ist eingetreten.

2. A müsste eine zur Erfolgsabwendung objektiv erforderliche und rechtlich gebotene Handlung trotz physisch-realer Handlungsmöglichkeit nicht vorgenommen und dabei die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen haben. Art und Maß der anzuwendenden Sorgfalt bestimmen sich nach den Anforderungen, die ex ante objektiv an einen besonnenen und gewissenhaft handelnden Menschen in der konkreten Situation zu stellen sind. Der BGH führt hierzu aus: Die rechtliche Würdigung der Strafkammer, die A habe „weder auf Grund eigenen vorangegangenen Verhaltens noch auf Grund ihr bekannter Unachtsamkeiten Dritter mit restlicher Glut im Bereich der Couch rechnen“ müssen, wird von den Feststellungen nicht getragen. Die A ist vielmehr den Anforderungen nicht gerecht geworden, die in der konkreten Situation an sie zu stellen waren.

Die A, die selbst Raucherin ist, gestattete ihren Gästen, in ihrer Wohnung zu rauchen. Sie ließ die beiden Kinder zumindest in der Zeit zwischen 23.30 Uhr und 4.30 Uhr unbeaufsichtigt in der Wohnung, ohne zuvor die unordentlich auf der Couch befindlichen Zeitschriften, Papiere und Kleidungsstücke beseitigt zu haben. Wird der Umgang mit Feuer, und sei es auch nur in Form von entzündeten Zigaretten und glimmender Asche, zugelassen, erfordert es die allgemein bekannte Gefahr, die sich in dem achtlosen Umgang mit Feuer und Zigarettenresten verwirklichen kann, dass ein Übergreifen auf Papier und sonstige leicht entflammbare Materialen verhindert oder jedenfalls auf ein Minimum reduziert wird. Diese schon allgemein bestehende Sorgfaltspflicht war auf Grund der hier vorliegenden Umstände besonders gesteigert. Fünf in der Wohnung anwesende Personen hatten zahlreiche Zigaretten geraucht. Die A und ihre Gäste hatten beim Rauchen über Stunden hinweg Alkohol getrunken. Eine Vielzahl von Zigarettenstummeln befand sich auf dem vor der Couch stehenden Glastisch in einem Aschenbecher und in einem Unterteller. Auf der Couch befanden sich leicht entzündbare Materialien, u.a. ein Feuerzeug, Papier, eine Zeitschrift, ein Kissen und ein Kleidungsstück ... Angesichts der sich aus diesen Umständen ergebenden gesteigerten Sorgfaltspflicht braucht der Senat nicht zu entscheiden, ob generell eine Pflichtverletzung schon dann anzunehmen ist, wenn Eltern ihre im Kleinkindalter befindlichen Kinder über längere Zeit ohne Aufsicht in der Wohnung zurücklassen.

Unzutreffend ist auch die Annahme der StrK, die A habe „mangels erkennbarer entgegenstehender Anhaltspunkte ... nicht mit etwa herumliegenden Glutresten rechnen müssen“. Nach den Feststellungen lagen hier sehr wohl auch für die A erkennbare entgegenstehende Anhaltspunkte vor. Deshalb war es geboten, jedenfalls vor einem längeren Verlassen des Raumes, eine Kontrolle auf noch glimmende Zigarettenreste vorzunehmen. Diesen Anforderungen und Notwendigkeiten ist A nicht gerecht geworden ... A hat somit eine objektiv erforderliche und rechtlich gebotene Handlung nicht vorgenommen und die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen.

3. Zwischen dem Untätigbleiben der A und dem Erfolgseintritt muss ein ursächlicher Zusammenhang bestehen. Hätte A die Glutreste auf der Couch entfernt, wäre es nicht zu dem Schwelbrand und somit nicht zu dem Tod der beiden Kinder gekommen. Der erforderliche ursächliche Zusammenhang zwischen Untätigkeit der A und Erfolgseintritt ist daher gegeben.

4. Weiterhin müsste A gemäß § 13 I StGB rechtlich dafür einzustehen gehabt haben, dass der tatbestandliche Erfolg nicht eintritt. Das ist der Fall, wenn sie eine Garantenstellung innehatte. Eine solche ergibt sich für A aus ihrer durch die Mutterschaft begründeten persönlichen Verbundenheit zu ihren Kindern und der elterlichen Personensorge aus den §§ 1626, 1631 BGB.

5. Zwischen der Sorgfaltspflichtverletzung durch Unterlassen und dem Eintritt des Erfolges bestand der für § 222 StGB erforderliche Zurechnungszusammenhang, da der Tod der beiden Kinder auf Grund der Sorgfaltspflichtverletzung der A eingetreten ist.

6. A hat rechtswidrig und schuldhaft gehandelt. Sie hat sich wegen fahrlässiger Tötung durch Unterlassen strafbar gemacht.

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Zusammenfassung