Bearbeiter: Prof. Dr. Rainer Strauß
Der folgende Fall befaßt sich mit der streitigen Frage, ob ein Unfallbeteiligter, der im Verdacht steht, Alkohol konsumiert zu haben, sich wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort strafbar macht, wenn er sich nach der Angabe seiner Personalien und Fahrzeugdaten einer polizeilich angeordneten Blutentnahme durch Verlassen des Unfallortes entzieht.
OLGKöln Urteil vom 19.1.1999 (Ss 526/98) NStZ-RR 1999, 251
Fall (Mögliche Unfallflucht)
A befuhr mit seinem Pkw nach vorherigem Alkoholkonsum eine 4 m breite Landstraße. Frau B befuhr diese in entgegengesetzter Richtung. Als A in einer Linkskurve mit den rechten Rädern seines Pkw auf den rechten Randstreifen kam und daraufhin mehr zur Fahrbahnmitte hin lenkte, wich B dem A aus und geriet dabei mit zwei Rädern ihres Pkw auf den mit Schotter bedeckten Randstreifen der Fahrbahn. Dort verlor sie die Gewalt über ihr Fahrzeug und fuhr gegen einen Baum. Sie verletzte sich schwer und ihr Pkw erlitt einen Totalschaden. A hielt sofort seinen Pkw an und begab sich zur Unfallstelle, um B erste Hilfe zu leisten. Der von Dritten herbeigerufene Polizist C hatte den Eindruck, A stehe deutlich unter Alkoholeinfluß, und ordnete deshalb eine Blutentnahme an. Hierzu sollte A zu einem Arzt gebracht werden. A war mit einer Blutentnahme jedoch nicht einverstanden. Nachdem C die Fahrzeugpapiere des A eingesehen und dessen Personalien aufgenommen hatte, beschloß A, sich der Blutentnahme zu entziehen, und verließ in einem unbemerkten Augenblick den Unfallort. Der Grad der Alkoholisierung des A konnte somit nicht festgestellt werden. Strafbarkeit des A ?
I. A könnte sich wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs gemäß § 315 c I Nr. 1 a), III Nr. 1 StGB strafbar gemacht haben.
1. A befuhr mit seinem Pkw eine Landstraße und führte somit ein Fahrzeug im Straßenverkehr.
2. Weiterhin müßte er infolge des Genusses alkoholischer Getränke nicht mehr in der Lage gewesen sein, sein Fahrzeug sicher zu führen. Dies wird bei einer Blutalkoholkonzentration von 1,1 Promille unwiderleglich vermutet. Die Blutalkoholkonzentration des A konnte aber nicht festgestellt werden, so daß von einer absoluten Fahruntüchtigkeit des A wegen des Grundsatzes in dubio pro reo nicht ausgegangen werden kann. Eine auf den Alkoholkonsum zurückzuführende relative Fahruntüchtigkeit kann anhand von Beweiszeichen im Einzelfall festgestellt werden. Als Beweiszeichen kommen Ausfallerscheinungen wie das Fahren von Schlangenlinien oder das reaktionslose Warten vor einer grünen Ampelanlage in Betracht. A hat sein Fahrzeug lediglich zu weit zur Fahrbahnmitte hin gelenkt. Ein solches Verhalten ist noch keine Fehlleistung, die die Annahme einer relativen Fahruntüchtigkeit rechtfertigt, weil ein solches Verhalten auch bei nüchternen Fahrern beobachtet werden kann und deshalb kein typisch alkoholbedingter Fahrfehler ist. Es muß daher davon ausgegangen werden, daß A trotz seines Alkoholkonsums noch in der Lage war, sein Fahrzeug sicher zu führen. Eine Strafbarkeit wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs gemäß § 315 c I Nr. 1 a), III Nr. 1 StGB scheidet aus.
II. A könnte sich wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort gemäß § 142 I Nr. 1 StGB strafbar gemacht haben.
1. Dann müßte ein Unfall im Straßenverkehr vorgelegen haben. Ein Unfall ist jedes plötzliche Ereignis im Straßenverkehr, welches zu einem nicht unerheblichen Personen- oder Sachschaden führt. B ist mit ihrem Pkw von der Fahrbahn abgekommen und gegen einen Baum gefahren, wobei der Pkw einen Totalschaden und B schwere Verletzungen erlitt. Ein Unfall im Straßenverkehr ist daher gegeben.
2. A müßte Unfallbeteiligter gewesen sein. § 142 V StGB enthält eine Legaldefinition des Unfallbeteiligten. Danach ist Unfallbeteiligter jeder, dessen Verhalten nach den Umständen zur Verursachung des Unfalls beigetragen haben kann. Dafür genügt es, daß nach dem äußeren Anschein der nicht ganz unbegründete Verdacht einer irgendwie gearteten - nicht notwendig schuldhaften - Mitverursachung des Unfalls gegen einen zur Unfallzeit am Unfallort Anwesenden erhoben werden kann, mag sich auch bei näherer Prüfung herausstellen, daß sein Verhalten in Wirklichkeit nicht zu dem Unfall beigetragen hat. ... Nur dann, wenn das Verhalten des Betr. zweifelsfrei nicht ursächlich für den Unfall ist, wenn sich der Unfall also mit Sicherheit auch ohne ihn ereignet hätte, entfällt für ihn die Warte- und Duldungspflicht. ...
Nach den getroffenen Feststellungen war der Verdacht, daß das Fahrverhalten des Angekl. mitursächlich für den Unfall war, den die Zeugin B mit ihrem Pkw ... erlitten hatte, nicht ganz unbegründet. Dies gilt bereits deshalb, weil dem äußeren Anschein nach bei der vom AG festgestellten Fahrweise des Angekl. - dem nach § 2 I StVO grundsätzlich verbotenen Befahren des Randstreifens mit den rechten Rädern ... und anschließendem Lenken des Fahrzeugs zur Fahrbahnmitte -, die den Eindruck einer Fahrunsicherheit und einer Gefährdung des entgegenkommenden Fahrzeuges vermitteln konnte, jedenfalls ein Mitwirken der Betriebsgefahr in Betracht kam , so daß A Unfallbeteiligter i. S. des § 142 V StGB war.
3. A müßte sich vom Unfallort entfernt haben, bevor er zugunsten der B die Feststellung seiner Person, seines Fahrzeuges und die Art seiner Beteiligung durch seine Anwesenheit und durch die Angabe, daß er an dem Unfall beteiligt ist, ermöglicht hat.
A hat C seine Personalien und Fahrzeugpapiere angegeben und somit die Feststellung seiner Person und seines Fahrzeuges ermöglicht. Dagegen hat er sich der Entnahme einer Blutprobe entzogen. Hierdurch könnte er die Feststellung über die Art seiner Beteiligung vereitelt haben.
Zum Teil wird die Auffassung vertreten, daß eine Wartepflicht, die nur noch einer körperlichen Untersuchung wie einer Blutentnahme dienen soll, nicht bestehe, da es sich nicht um Ermittlungen am Unfallort handele. Die Pflicht zur Duldung der Blutentnahme bestehe gemäß § 81 a I S.1 StPO nur zur Sicherung des Strafverfahrens und liege außerhalb des Schutzzwecks des § 142 StGB, dessen Sinn und Zweck die Sicherung zivilrechtlicher Ansprüche gegen den Unfallbeteiligten sei (OLG Zweibrücken NJW 1989, 2765; Geppert GA 1991, 39).
Dagegen gehört nach anderer Auffassung zur Art der Beteiligung auch der körperliche Zustand eines Unfallbeteiligten und damit insbesondere die Frage einer möglichen Alkoholisierung (Tröndle § 142 Rnr. 25; Schönke/Schröder § 142 Rnr. 23). Das OLG Köln schließt sich dieser Auffassung an: Eine Verpflichtung des Unfallbeteiligten, Feststellungen zu seiner Alkoholisierung zu dulden, besteht nur dann nicht, wenn solche Feststellungen für das Beweisinteresse des Geschädigten ohne Bedeutung sind, weil die Frage der Alkoholisierung des Schädigers auf die Haftungsfrage keinen Einfluß haben kann, insbesondere weil der Einwand eines Mitverschuldens oder einer mitwirkenden Betriebsgefahr auf Seiten des Geschädigten von vornherein ausscheidet. ... Unabhängig von der Möglichkeit eines solchen Einwandes - der angesichts der vom AG angenommenen Überreaktion der Zeugin nicht ausscheidet - ist die Haftungsfrage freilich nicht geklärt, wenn es hier darum geht, eine Haftung des Unfallbeteiligten überhaupt erst festzustellen. Für das Beweisinteresse des Geschädigten waren Feststellungen zur Alkoholisierung gerade von Bedeutung. Auf eine Alkoholisierung des Angekl. konnte es jedenfalls im Rahmen der Haftung wegen Betriebsgefahr nach § 7 StVG ankommen, die Fahrzeugberührung nicht voraussetzt und hier bereits dadurch ausgelöst werden konnte, daß die Fahrweise des Angekl. zum Ausweichen der Zeugin (B) beitrug...
§ 142 StGB soll das private Feststellungs- und Beweissicherungsinteresse der am Unfall Beteiligten wegen der zwischen ihnen entstandenen Rechtsbeziehungen schützen und verhindern, daß jemand sich einer möglichen schuldrechtlichen Verpflichtung gegenüber der durch den Unfall geschädigten Person entzieht ...
Wie der BGH ... hervorgehoben hat, dient die Klärung dieser Frage nicht nur polizeilichen Zwecken, sondern auch dem durch § 142 StGB geschützten Beweisinteresse der anderen Unfallbeteiligten. Für eine Verurteilung wegen Unfallflucht reicht es deshalb aus, daß sich der Täter der Klärung dieser Frage entzieht. ...
Die Wartepflicht am Unfallort endet deshalb nicht ohne weiteres mit der Feststellung der Personalien des Unfallbeteiligten. So besteht nach § 142 I StGB bei der Anordnung einer Blutentnahme gemäß § 81 a Abs. 1 S. 1 StPO durch die Polizei so lange fort, bis entschieden ist, ob die Anordnung zwangsweise durchgesetzt werden soll ...
Indem A der Anweisung des C nicht gefolgt ist und den Unfallort verlassen hat, hat er sich wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort gemäß § 142 StGB strafbar gemacht.
Leitsatz des Bearbeiters:
Die Wartepflicht des § 142 I StGB endet nicht bereits mit der Angabe der Personalien und Fahrzeugdaten. Der Unfallbeteiligte hat sich auch für eine durch die Polizei gemäß § 81 a I S. 1 StPO angeordnete Blutentnahme bereitzuhalten, wenn die Feststellung der Alkoholisierung des Beschuldigten auch von Beweisinteresse für zivilrechtliche Ansprüche des Geschädigten ist.