Bearbeiter: Prof. Dr. Rainer Strauß

Rücktritt vom unbeendeten Versuch. Freiwilligkeit des Rücktritts, § 24 StGB

BGH Beschluss vom 27. 2. 2003 (4 StR 59/02), NStZ-RR 2003, 199

Fall (Rücktritt – nichts leichter als das !)

A stritt sich heftig mit seiner Ehefrau E. Während des Streites zog er ein Messer hervor und stach in Tötungsabsicht mehrmals auf E ein. B, der das Ehepaar zuvor beobachtet hatte, lief auf A zu und rief, A solle sofort damit aufhören. A reagierte jedoch nicht auf die Zurufe des B, sondern stach weiter auf die sich heftig wehrende E ein. Durch die lauten Schreie der E wurde auch die C auf das Geschehen aufmerksam. C war zu diesem Zeitpunkt etwa 30 bis 40 Meter von dem Tatgeschehen entfernt. Sie fuhr mit ihrem Fahrrad direkt auf A zu und schrie ihn dabei laut an. A zuckte zusammen und hielt inne. A blickte nun erst auf seine Hand, in der er das Messer hielt, dann zu C und anschließend auf die blutende E. In dem Bewusstsein, dass E die bisherigen Verletzungen überleben werde, legte er sodann das Messer zur Seite und ließ von E ab. E konnte durch eine Notoperation gerettet werden. Strafbarkeit des A ?

I. A könnte sich wegen versuchten Totschlags gemäß § 212 I StGB strafbar gemacht haben.

1. Der Totschlagserfolg ist nicht eingetreten. Der versuchte Totschlag ist als Verbrechen i.S. des § 12 I StGB gemäß § 23 I StGB mit Strafe bedroht.

2. A handelte in Tötungsabsicht, er hatte somit Tatentschluss zur Tötung der E.

3. Mit dem ersten Stich in den Körper der E hat er unmittelbar i.S. des § 22 StGB zur Tatbestandsverwirklichung angesetzt. Weiterhin hat er rechtswidrig und schuldhaft gehandelt.

4. A könnte allerdings mit strafbefreiender Wirkung gemäß § 24 I S. 1 StGB von dem versuchten Totschlag zurückgetreten sein.

a) Die Rücktrittsvoraussetzungen richten sich nach § 24 I S. 1 1. Fall StGB, wenn ein unbeendeter Versuch gegeben ist. Unbeendet ist der Versuch, wenn der Täter zum Zeitpunkt der letzten Ausführungshandlung glaubt, noch nicht alles getan zu haben, was zur Deliktsverwirklichung notwendig ist. A ließ in dem Bewusstsein, dass die bisherigen Verletzungen der E nicht tödlich gewesen seien, von dieser ab. Er ging folglich zum Zeitpunkt der letzten Ausführungshandlung davon aus, dass er noch nicht alles zur Deliktsverwirklichung Erforderliche getan hatte, so dass ein unbeendeter Versuch gegeben ist. Die Rücktrittsvoraussetzungen richten sich damit nach § 24 I S. 1 1. Fall StGB.

b) Der § 24 I S. 1. 1. Fall StGB setzt voraus, dass der Täter die weitere Ausführung der Tat freiwillig aufgegeben hat.

Freiwillig handelt der Täter, wenn er Herr seiner Entschlüsse geblieben ist und subjektiv noch in der Lage war, das zur Vollendung der Tat Notwendige zu tun. Das LG hatte im vorliegenden Fall das Tatbestandsmerkmal der Freiwilligkeit verneint. Es stellte entscheidend darauf ab, dass sich für A, als er auf die Schreie der C hin von E abließ, das Risiko einer Entdeckung wesentlich erhöht habe, da er nun realisiert habe, dass bereits Zeugen anwesend waren und er einer Entdeckung nicht entgehen konnte. Der BGH lehnt diese Argumentation mit folgender Begründung ab. Für die Frage der Freiwilligkeit des Rücktritts ist entscheidend, ob aus der Sicht des Täters ein für ihn zwingendes Hindernis vorlag, oder ob er Herr seiner Entschlüsse geblieben ist; sie ist deshalb zu bejahen, wenn der Täter weder durch eine äußere Zwangslage noch durch seelischen Druck unfähig gewesen ist, die Tat zu vollenden ... Dass äußere Umstände den Angekl. unfähig gemacht haben, weiter auf seine Ehefrau einzustechen, hat das LG nicht angenommen, zumal es der Aussage der Geschädigten gefolgt ist, „man habe ihn nicht wegziehen müssen.“ Ebenso wenig ergeben die Feststellungen, dass der Angekl. sich aus zwingenden inneren Beweggründen an der Fortsetzung der Tat gehindert sah. Entgegen der Annahme des LG steht der Umstand, dass die Tat in Gegenwart von Zeugen begangen wurde, also bereits entdeckt war, der Annahme eines freiwilligen Rücktritts nicht entgegen ...

A hat somit, indem er aus autonomen Motiven von E abgelassen hat, obwohl er weiter auf diese hätte einstechen können, das Tatbestandsmerkmal der Freiwilligkeit erfüllt und ist gemäß § 24 I S. 1. Fall StGB mit strafbefreiender Wirkung von dem versuchten Totschlag nach §§ 212 I, 22 StGB zurückgetreten.

II. A könnte sich wegen einer gefährlichen Körperverletzung gemäß §§ 223 I, 224 I Nr. 2 und Nr. 5 StGB strafbar gemacht haben.

1 . Durch die Stiche mit dem Messer ist eine Körperverletzung in Form der körperlichen Misshandlung gegeben. A führte die Körperverletzung mit einem Messer herbei und setzte E einer lebensgefährlichen Behandlung aus. Der objektive Tatbestand der §§ 223 I, 224 I Nr. 2 und Nr. 5 ist daher erfüllt.

2 . Weiterhin müsste A vorsätzlich gehandelt haben. Das setzt voraus, dass er wissentlich und willentlich den objektiven Tatbestand verwirklicht hat. A handelte in dem Bewusstsein und der Absicht, E zu töten. Nach der vom BGH und dem überwiegenden Schrifttum vertretenen Einheitstheorie schließt dieser Tötungsvorsatz einen Körperverletzungsvorsatz ein (BGHSt 16,122, 123). Demnach hatte A auch Vorsatz zu einer gefährlichen Körperverletzung.

3. A hat rechtswidrig und schuldhaft gehandelt und sich somit wegen einer vollendeten gefährlichen Körperverletzung gemäß §§ 223, 224 I Nr. 2 und 3 StGB strafbar gemacht.

Zusammenfassung