Bearbeiter: Prof. Dr. Rainer Strauß

Fahren ohne Fahrerlaubnis, § 21 I Nr. 1 StVG. Unvermeidbarer Verbotsirrtum, § 17 Satz 1 StGB

OLG Frankfurt Urteil vom 14. 07. 2003 (3 Ss 114/03) NStZ-RR 2003, 263

Fall (Falsche Auskunft durch Rechtsanwalt)

A wurde in einem Verkehrsordnungswidrigkeitsverfahren zu einer Geldbuße mit einem Fahrverbot von einem Monat verurteilt. Der Richter belehrte A, dass mit der Rechtskraft der Bußgeldentscheidung das Fahrverbot wirksam werde. Jedoch gab A nach der Rechtskraft des Urteils seinen Führerschein nicht in amtliche Verwahrung, weil der von ihm beauftragte Rechtsanwalt R ein Gnadengesuch wegen des Fahrverbots bei der Staatsanwaltschaft eingereicht hatte. Das Gesuch wurde abgelehnt. Daraufhin richtete R eine als Gnadenbeschwerde auszulegende Eingabe an das hessische Ministerium der Justiz, über die noch nicht abschließend entschieden ist. Seinem Mandanten erklärte der R, dass das in dem Ordnungswidrigkeitsverfahren verhängte Fahrverbot so lange nicht wirksam sei, als über den Gnadenantrag nicht abschließend entschieden worden ist. Im Vertrauen auf diese Auskunft führte A ein Kraftfahrzeug im Straßenverkehr und wurde dabei von der Polizei kontrolliert. Strafbarkeit des A?

A könnte sich wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis gemäß § 21 I Nr. 1 StVG strafbar gemacht haben.

1. Dann müsste er ein Fahrzeug geführt haben, obwohl ihm dies nach § 25 StVG verboten wurde. Ein solches Fahrverbot wurde gegen A für einen Monat rechtskräftig verhängt. A kannte die gesetzlichen Tatumstände des § 21 I Nr. 1 StVG, da er aufgrund der richterlichen Belehrung wusste, dass das Fahrverbot mit der Rechtskraft der Bußgeldentscheidung wirksam wird. Der objektive und subjektive Tatbestand des § 21 I Nr. 1 StVG ist somit erfüllt.

2 . A handelte rechtswidrig.

3 . A müsste auch schuldhaft gehandelt haben. Der Täter handelt schuldhaft, wenn er für seine Tat persönlich verantwortlich gemacht werden kann. Das ist gemäß § 17 S. 1 nicht der Fall, wenn dem Täter bei der Begehung der Tat die Einsicht, Unrecht zu tun, fehlt und er diesen Irrtum nicht vermeiden konnte.

Ein solcher Verbotsirrtum ist unvermeidbar, wenn der Täter die Rechtswidrigkeit seines Tuns auch bei Anspannung seines Gewissens unter Berücksichtigung seiner individuellen Fähigkeit und Kenntnisse nicht erkennen kann (Tröndle/Fischer StGB § 17 Rnr. 8). Dabei ist der Täter gehalten, seine geistigen Erkenntniskräfte voll einzusetzen und bei auftretenden Zweifeln sich sachkundigen Rat einzuholen (BGH NStZ 2000, 364). A hat sich an seinen Rechtsanwalt gewendet und sich auf dessen Information, dass der Gnadenantrag aufschiebende Wirkung habe, verlassen. Grundsätzlich kann er sich auf die Auskunft einer verständigen, sachkundigen, unvoreingenommenen Person, die kein erkennbares Eigeninteresse verfolgt und deswegen Gewähr für eine objektive, sorgfältige, pflichtgemäße und verantwortungsbewusste Auskunftserteilung bietet, verlassen…. Namentlich darf er auf Auskünfte von Rechtsanwälten oder vergleichbaren Rechtskundigen, die er ohne Verschulden als kompetent angesehen hat, regelmäßig vertrauen. Eine Rechtsauskunft enthebt den Täter allerdings nicht der persönlichen Entscheidung über Recht und Unrecht. Er ist nicht entlastet, wenn die Unerlaubtheit des Tuns entgegen der Auskunft auch bei nur mäßiger Anspannung von Verstand und Gewissen leicht erkennbar ist. Die erteilte Auskunft ist kritisch zu prüfen und im Fall von Anhaltspunkten für die Unrichtigkeit – zum Beispiel aufgrund anders lautender Hinweise oder fehlender Neutralität der Auskunftsperson – ggf. weiterer Rat einzuholen.

a) Unter Anwendung dieser Grundsätze konnte sich A auf den Rat des R verlassen. Der bereits seit Jahren für ihn tätige R war mit allen Umständen des Einzelfalls vertraut und aufgrund seiner anwaltlichen Tätigkeit zu derartigen Auskünften berufen. Anhaltspunkte, um an seiner Neutralität zu zweifeln, bestand nach den Feststellungen des LG nicht. Aufgrund dessen handelte es sich bei dem Verteidiger aus Sicht des Angeklagten um eine kompetente und unvoreingenommene Auskunftsperson, auf deren Rat er grundsätzlich vertrauen durfte. Der Angeklagte konnte auch bei der gebotenen Anspannung von Verstand und Gewissen nicht erkennen, dass die Auskunft falsch war.

b) Etwas anderes ergibt sich nach Auffassung des OLG auch nicht aus der entgegenstehenden Belehrung durch den Richter. Dem steht nicht entgegen, dass das Bußgeldverfahren bereits rechtskräftig abgeschlossen und der Angeklagte ausdrücklich über die Wirksamkeit des Fahrverbots mit Eintritt der Rechtskraft belehrt worden war. Denn er konnte aufgrund der ihm entsprechend erteilten Auskunft davon ausgehen, dass aufgrund des laufenden Gnadenverfahrens ausnahmsweise noch keine Wirksamkeit des Fahrverbots eingetreten sei. Das OLG Frankfurt beurteilt die Annahme einer aufschiebenden Wirkung eines laufenden Gnadenverfahrens aus Laiensicht auch nicht erkennbar als abwegig. Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass Gnadengesuche keine Rechtsbehelfe, sondern Eingaben mit dem Ziel, ausnahmsweise eine von der Rechtslage abweichende Entscheidung zu erlangen, darstellen.

Damit war der Verbotsirrtum des A unvermeidbar, so dass er nicht schuldhaft gehandelt hat. A ist nicht wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis gemäß § 21 I Nr. 1 StVG zu bestrafen.

Zusammenfassung

Ein Rechtsunkundiger darf sich auf Auskünfte von rechtskundigen Personen, wie z.B. von Rechtsanwälten, verlassen, so lange sich keine Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit der Auskunft ergeben, die er bei auch nur mäßiger Anspannung von Verstand und Gewissen erkennen kann. Handelt der Rechtsunkundige dann auskunftskonform, befindet er sich in einem unvermeidbaren Verbotsirrtum.