Bearbeiter: Prof. Dr. Rainer Strauß

Der folgende Fall befasst sich mit dem Mordmerkmal des niedrigen Beweggrundes. Die Lösung des BGH verdeutlicht, dass bei einer Prüfung dieses Mordmerkmals sowohl in objektiver als auch subjektiver Hinsicht besondere Sorgfalt geboten ist und nicht jede auf den ersten Blick verwerfliche Tötung eines anderen Menschen als Mord i.S. des § 211 StGB gewertet werden kann. Die restriktive Auslegung der Mordmerkmale des § 211 II StGB rechtfertigt sich aus der mit einem Mord verbundenen lebenslangen Freiheitsstrafe.

BGH Beschluss vom 22. 9. 1998 (4 StR 376/98) StV 2000, 20

Fall (Verschmähte Liebe)

A und B unterhielten ein Liebesverhältnis. B wollte sich von A trennen, weil A eine intime Beziehung zu einer anderen Frau unterhielt. A gelang es bei einer Aussprache mit B nicht, diese dazu zu bewegen, die Beziehung mit ihm fortzusetzen. Daher nahm er seinen Trommelrevolver und zwang B mit vorgehaltener Waffe, sich zu entkleiden. Sodann hielt er die Mündung des geladenen Revolvers an ihre rechte Schläfe, spannte den Hahn des Revolvers und drohte, sie zu erschießen, wenn sie nicht bei ihm bleibe. Als auch diese Drohung nicht die gewünschte Wirkung zeigte und B in ihrer Verzweiflung und möglicherweise auch in der Hoffnung, A werde sie nicht erschießen, sinngemäß antwortete, dann drück doch ab, tat A dies. B sackte sofort in sich zusammen und starb. Es ist nicht auszuschließen, dass A die Tat ohne Vorplanung aus dem Augenblick heraus, als spontane Reaktion auf die Aufforderung „dann drück doch ab“ begangen hat. A war zum Zeitpunkt der Tat stark alkoholisiert. Strafbarkeit des A?

I. A könnte sich wegen Mordes, § 211 II 1. Gruppe 3. Fall (niedriger Beweggrund), strafbar gemacht haben.

1. Durch den Schuss des A ist Tod der B eingetreten, so dass der objektive Tatbestand erfüllt ist.

2. A handelte vorsätzlich bezüglich der Tötung der B. Er könnte außerdem das Mordmerkmal des niedrigen Beweggrundes verwirklicht haben. Ein solcher ist gegeben, wenn die Tat nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe steht und geradezu verachtenswert erscheint (BGHSt 3, 132).

a) Das LG hatte einen niedrigen Beweggrund mit folgender Argumentation bejaht: Der Angekl. hat Frau B aus verletzter Eitelkeit und krasser Selbstsucht vorsätzlich getötet. Er wollte nicht akzeptieren, dass seine langjährige Lebensgefährtin ihn verlässt, obwohl er die Gründe der Trennung durch sein beziehungswidriges Verhalten (nämlich die intimen Beziehung zu einer anderen Frau) herbeigeführt hat. Wer unter solchen Umständen dem Lebenspartner das Lebensrecht abspricht, handelt zutiefst verwerflich. Dieser verachtenswerten Gesinnung war sich der Angekl. auch zum Zeitpunkt der Tat bewusst ...

b) Der BGH widerspricht dem jedoch: In subjektiver Hinsicht ist erforderlich, dass sich der Täter bei der Begehung der Tat der Umstände bewusst gewesen ist, die seinen Antrieb zur Tötung als besonders verwerflich erscheinen lassen. Er muss außerdem die Bedeutung seiner Beweggründe und Ziele für die Tat erfasst haben. Hieraus folgt, dass er in der Lage gewesen sein muss, seine Regungen zu steuern (LK-Jähnke § 211 Rnr. 36) Hierfür hat eine Gesamtwürdigung aller äußeren undinneren für die Handlungsantriebe des Täters maßgeblichen Faktoren zu erfolgen, wobei es stets besonders sorgfältiger Prüfung bedarf, wenn sich die Tat plötzlich aus einer Situation heraus entwickelt ...

Danach ist - wie die Revision mit Recht rügt - nicht auszuschließen, dass der zur Tatzeit erheblich alkoholisierte Angekl. die Tat ohne Vorplanung aus dem Augenblick heraus - als spontane Reaktion auf die Aufforderung „dann drück doch ab“ - begangen hat. Damit hat sich das LG nicht auseinandergesetzt. Das wäre aber erforderlich gewesen, denn nicht jede Tötung des Partners, die geschieht, weil dieser sich vom Täter abwenden will, ist zwangsläufig aus niedrigen Beweggründen begangen ..., auch wenn der Täter den Grund der Trennung selbst herbeigeführt hat...

Zudem genügt die bloße Behauptung, der Angekl. sei sich seiner „verachtenswerten Gesinnung“ bewusst gewesen, nicht den rechtlichen Anforderungen, die hier an die Feststellungen zu den subjektiven Erfordernissen des Mordmerkmals zu stellen sind; denn es versteht sich nicht von selbst, dass den Angekl. im Zeitpunkt der Tötungshandlung niedrige Beweggründe beherrschten, er sich - diese unterstellt - der Umstände, die eine solche Bewertung tragen können, bewusst gewesen ist und er seine Tatantriebe gedanklich beherrschen und willensmäßig steuern konnte ...

A hat somit das Mordmerkmal des niedrigen Beweggrundes nicht erfüllt und sich nicht wegen Mordes strafbar gemacht.

II. Gegeben ist eine Strafbarkeit gemäß § 212 I StGB wegen Totschlags.

Leitsatz des Bearbeiters:

Die Annahme eines niedrigen Beweggrundes setzt voraus, dass die Tat objektiv nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe steht und der Täter subjektiv in der Lage ist, seine Tatantriebe gedanklich zu beherrschen und willentlich zu steuern.