Bearbeiter: Prof. Dr. Rainer Strauß

Der Fall befasst sich mit der Frage, ob ein Hindernis bereiten i.S. des § 315 b I Nr. 2 StGB auch dann gegeben ist, wenn ein Pkw-Fahrer sich zwar dem äußeren Anschein nach korrekt verhält, aber durch seine Fahrweise absichtlich einen anderen Verkehrsteilnehmer in einen Unfall verwickelt.

BGH Urteil vom 22. 7. 1999 (4 StR 90/99) StV 2000, 22

Fall (Provozierte Unfälle)

A provozierte eine Reihe von Unfällen, um in den Genuss der Versicherungsleistungen der Haftpflichtversicherer der anderen Verkehrsteilnehmer zu gelangen. In sieben Fällen bremste er seinen Pkw bei der Annäherung an eine Kreuzung, nachdem er den linken Fahrtrichtungsanzeiger gesetzt hatte, bereits an der Einfahrt zu einer kurz vor der Kreuzung auf der linken Seite gelegenen Tankstelle ab. Die nachfolgenden Fahrer fuhren auf den Pkw des A auf, da sie annahmen, A werde erst an der Kreuzung abbiegen. In einem weiteren Fall bremste A an einer Verkehrsampel, die gerade auf gelb umgeschaltete hatte, scharf ab. Die nachfolgende Verkehrsteilnehmerin, die damit nicht gerechnet hatte, fuhr auf den Pkw des A auf. Die Haftpflichtversicherer beglichen die von A geforderten Beträge.

Strafbarkeit des A?

I. A könnte sich wegen Betruges gemäß § 263 I StGB gegenüber und zu Lasten der Haftpflichtversicherer strafbar gemacht haben.

1. A spiegelte den Haftpflichtversicherern vor, dass ihre Versicherungsnehmer schuldhaft Verkehrsunfälle verursacht hätten. Durch diese Täuschungen wurden bei den Haftpflichtversicherern entsprechende Irrtümer hervorgerufen. Diese führten zu Vermögensverfügungen der Haftpflichtversicherer, welche dann Vermögensschäden in Höhe der jeweils geltend gemachten Beträge zur Folge hatten.

2. A handelte vorsätzlich und in der Absicht der stoffgleichen Eigenbereicherung. Die von ihm erstrebten Bereicherungen war rechtswidrig, da er keinen Anspruch auf die Versicherungsleistungen hatte. Er hat sich somit wegen Betruges in acht Fällen gemäß §§ 263 I, 53 I StGB strafbar gemacht.

II. A könnte sich weiterhin wegen gefährlicher Eingriffe in den Straßenverkehr gemäß §§ 315 b I Nr. 2 (Hindernis bereiten), III i.V.m. 315 III Nr. 1 a (Unglücksfall herbeizuführen) und Nr. 1 b (andere Straftat zu ermöglichen) strafbar gemacht haben.

1. Dann müsste A ein Hindernis bereitet haben, durch das die Sicherheit des Straßenverkehrs beeinträchtigt wurde. Unter einem „Hindernis bereiten“ wird jede Einwirkung auf den Straßenkörper verstanden, die geeignet ist, den reibungslosen Verkehrsablauf zu hemmen oder zu gefährden (Schönke/Schröder § 315 b Rnr. 6). Das geschieht in der Regel durch verkehrsfremde Eingriffe, also durch Einwirkungen, die von außen auf den Verkehr Einfluss nehmen. Auf Verkehrsvorgänge aus dem fließenden oder ruhenden Verkehr ist § 315 b StGB grundsätzlich nicht anwendbar, da alle internen Verkehrsvorgänge, die wegen ihrer Gefährlichkeit als Vergehen geahndet werden sollen, durch den Katalog des § 315 c I Nr. 1 a) bis g) StGB abschließend erfasst sind (Schönke/Schröder § 263 Rnr. 7).

Gleichwohl findet § 315 b StGB auf interne Verkehrsvorgänge Anwendung, wenn diese der Sache nach verkehrsfremde Eingriffe darstellen. Das ist der Fall, wenn der Täter vom Verhalten eines „normalen“ Verkehrsteilnehmers dadurch abweicht, dass er durch die Zuwiderhandlung gegen die Verkehrsvorschriften die Schaffung eines Hindernisses beabsichtigt, wenn also das Hindernis nicht bloße Folge, sondern der Zweck des verbotswidrigen Verhalten ist .... Damit übereinstimmend nimmt ein Fahrzeugführer durch Handlungen im fließenden Verkehr in tatbestandsmäßiger Weise einen „ähnlichen, ebenso gefährlichen Eingriff“ i.S. v. § 315 b I Nr. 3 StGB vor, wenn er das von ihm gesteuerte Kraftfahrzeug in verkehrsfeindlicher Einstellung bewusst zweckwidrig einsetzt ... Beiden Fällen der Anwendung des § 315 b StGB auf Verkehrsvorgänge ist gemeinsam, dass der Täter in der Absicht handelt, diese zu einem Angriff zu „pervertieren“. Es muss ihm darauf ankommen, in die Sicherheit des Straßenverkehrs einzugreifen.

Der vorliegende Sachverhalt weist aber noch die Besonderheit auf, dass das Verhalten des A nach dem äußeren Erscheinungsbild den Vorschriften der Straßenverkehrsordnung entsprach. Sowohl das Abbiegen vor der Kreuzung in die Tankstellen einfahrt als auch das scharfe Bremsen ist kein „Pervertieren“ eines Verkehrvorgangs, sondern war rein äußerlich korrekt. Der BGH hat für die Bewertung solcher Fälle die folgenden Grundsätze aufgestellt: Wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr gemäß § 315 b I StGB macht sich nicht strafbar, wer sich in jeder Hinsicht verkehrsgerecht verhält und dies mit der Hoffnung verbindet, dass ihm ein Unfall Gelegenheit zu einer vorteilhaften Schadensabrechnung mit der gegnerischen Haftpflichtversicherung bietet. Das gilt auch dann, wenn der Verkehrsteilnehmer das Unfallereignis billigend in Kauf nimmt. Die bloße Hoffnung auf einen Verkehrsunfall wie auch die billigende Inkaufnahme eines drohenden Unfalls mögen verwerflich sein. Aus dem verkehrsordnungsgemäßen Fahrverhalten wird auf diese Weise aber kein unerlaubter Eingriff in die Sicherheit des Straßenverkehrs. Eine Bestrafung nach § 315 b StGB liefe darauf hinaus, dass schon die böse Gesinnung geahndet würde.

Anders verhält es sich, wenn der Täter einen Unfall absichtlich herbeiführt. Wer ein bestimmtes - in der konkreten Verkehrssituation an sich korrektes - Fahrmanöver (etwa ein Bremsen oder Beschleunigen des Fahrzuges oder ein Abbiegen) zu dem Zweck ausführt, die Unaufmerksamkeit oder eine Fehleinschätzung eines anderen Verkehrsteilnehmers auszunutzen und so einen Verkehrsunfall herbeizuführen, der die Möglichkeit einer vorteilhaften Schadensregulierung eröffnet, setzt sein Fahrzeug verkehrsfeindlich und zweckwidrig ein.

Damit erfüllt er den Tatbestand des § 315b Abs. 1 StGB, selbst, wenn sein Verhalten äußerlich verkehrsgerecht erscheinen mag. Tatsächlich verhält er sich damit verkehrswidrig; denn ein Verhalten, das allein die Schädigung eines anderen Verkehrsteilnehmers bezweckt, verstößt stets (vgl. nur § 1 Abs. 2 StVO) gegen die Straßenverkehrsordnung.

A handelte in der Absicht, die Unfälle so wie geschehen herbeizuführen. Sein Verhalten, das äußerlich zwar verkehrsgerecht war, zielte allein auf die Schädigung anderer Verkehrsteilnehmer ab. Nach den Grundsätzen des BGH ist daher ein Fall des Hindernisbereitens nach § 315 b Nr. 2 StGB gegeben.

2. Hierdurch hat A sowohl Leib und Leben der anderen Verkehrsteilnehmer als auch fremde Sachen von bedeutendem Wert (über 1 200 DM) in eine konkrete Gefahr gebracht.

3. A handelte vorsätzlich und in der Absicht Unglücksfälle - in Form von Verkehrsunfällen - herbeizuführen sowie andere Straftaten - Betrug gegenüber den Haftpflichtversicherern - zu ermöglichen.

4. A hat sich somit in acht Fällen gemäß § 315 b I Nr. 2, III i.V.m. 315 III Nrn. 1 a und b, 53 I StGB strafbar gemacht.

Leitsatz des Bearbeiters:

Auch ein äußerlich verkehrsgerechtes Verhalten kann das Bereiten eines Hindernisses oder eines ähnlichen, ebenso gefährlichen Eingriffs darstellen, wenn dies ausschließlich von der Absicht getragen wird, andere Verkehrsteilnehmer in einen Verkehrsunfall zu verwickeln.